Provinzredaktion in der Leipziger Pfeffermühle

Kabarett über Journalismus, Gesellschaft – und Kabarett

Die Chefin (Rebekka Köbernick) hat die „Provinzredaktion“ (links Jörg Metzner, Sascha Kiesewetter) einigermaßen im Griff – nur die Auflagezahlen nicht. Die Chefin (Rebekka Köbernick) hat die „Provinzredaktion“ (links Jörg Metzner, Sascha Kiesewetter) einigermaßen im Griff – nur die Auflagezahlen nicht. Quelle: Foto: Dirk Knofe Leipzig

Das neue, sehr unterhaltsame Programm „Provinzredaktion“ der Leipziger Pfeffermühle seziert das aktuelle Dilemma von Tageszeitungen und Journalismus. Das steht symbolisch für die Lage in der Gesellschaft – aber auch für die Nöte des Kabaretts. Eigentlich geht es nur um das Pflanzen von Eichen. Eine unbedeutende Meldung im Lokalblättchen also – bis der Online-Optimierer aufkreuzt und die Nachricht mit Reizwörtern aufmotzt, um viele Klicks im Netz zu generieren. Mit „Mord“, „Helene Fischer“ und „Angst“ beispielsweise. Im Journalismus zähle nun mal Traffic, belehrt der Experte; also viele Besuche auf den eigenen Internetseiten. Eine satirisch überhöhte Szene, die sich in ihrem Kern allerdings in vielen Redaktionen nicht nur deutscher Tageszeitungen tatsächlich abspielt. und seit Mittwoch auch in der Pfeffermühle: Das Programm „Provinzredaktion“ feierte Premiere. Die Stimmung beim „Döbeln-Boten“ könnte lockerer sein. Dass noch keine zündende Idee für den anstehenden Landespresseball existiert, ist das kleinste Übel. Die Auflage sinkt, Anzeigen-Erträge und Leserschaft schrumpfen. Keine Frage: Die Texter für das Haus an der Katharinenstraße haben gut recherchiert für die neue Produktion, die die Lage des Journalismus nutzt, um die gesamtgesellschaftliche zu skizzieren. Manchmal mittels Zynismus, vor allem mittels Aphorismen und Witzen, stets originell und frisch. Marcus Ludwig, Regisseur und musikalischer Leiter, hat dafür die Manuskripte von Conny Molle, Jörg Fabrizius, Stefan Klucke, Erik Lehmann, Tom Reichel, Ludger Wilhelm und sich selbst weitgehend stringent in ein Theaterformat gebaut und auf den typischen Nummerncharakter mit zwischenzeitlichen Blacks verzichtet. Das geht auf, ebenso wie die schöne Idee, in den musikalischen Parts (Ludwig am Piano) Liedtexte über Melodien der Beatles zu legen. In der Redaktion kämpft die resolute Chefin gegen den Abwärtstrend und die Macken der Kollegen. Der altgediente Geppert ist ein Konservativer, der die mechanische Schreib- der Suchmaschine vorzieht, und der junge Torben hat sich in seine Weltverbesserungs-Vorsätze verkrallt. Bei ihm prallen Ideale gegen die piefige Realität: Statt den Leser über Klimaschutz oder bewusste Ernährung zu informieren, kümmert er sich um die Wahl der Zwiebelkönigin und das Layout eines Kreuzworträtsels. „Durch Aufklärung gehen Leser verloren“ – aus dem Satz der Chefin spricht eine fatale Agonie, die sich über den Berufszweig hinausstreckt. Es geht um Müdigkeit in Deutschland, um die Genervt- und Unsicherheit darüber, was man noch sagen darf und was nicht. Die Fallstricke der Unkorrektheit liegen überall – in der Sprache (Gender-Begriff), im Verhalten (Sexismus) und in politischer Äußerung. Bald wird klar: Die Pfeffermühle verhandelt nicht nur das journalistische respektive das gesellschaftliche Dilemma, sondern auch das eigene. Überalterung der deutschen Bevölkerung, der Zeitungs-Leserschaft und des Kabarett-Publikums hängen zusammen. Die Auflage sinkt ebenso wie das Interesse junger Zuschauer. Zu Recht wird kritisiert, dass manche Schreiber ihre Meinung der Mehrheit anpassen und Haltung vermissen lassen. Das trifft jedoch auch auf dieses – wirklich gut gemachte Programm – zu. Weil es sich die Pfeffermüller mit keinem richtig verscherzen wollen, beschränken sich Witze über die AfD auf Kalauer statt auf Inhalte, denn das tut nicht wirklich weh. Satirisch dreist wird es eher, wenn Heilstein-Verkäufer Sören die Schnelligkeit afrikanischer Langstreckenläufer auf den ausgeprägten Fluchtinstinkt zurückführt. Und angesichts der Altersstruktur ist man auf der sicheren Seite, die erwähnte grassierende Übersensibilität seltsam zu finden. Dennoch – „Provinzredaktion“ hat Tempo, Witz, aktuelle Bezüge und starkes Personal. Vor allem Präsenz und Gesang von Rebekka Köbernick beindrucken, aber auch Jörg Metzner, Sascha Kiesewetter und Ludwig sind bestens auf ihre Rollen eingestimmt. Saukomisch ist das Simultandolmetschen zum Statement der Autoindustrie, treffend die Kritik am Schrumpfen journalistischer Vielfalt durch Zentralisierung der Redaktionen. Immerhin: Dieser Text hat gute Chancen auf eine Menge Online-Klicks. Er enthält die Stichwörter „Mord“, „Helene Fischer“ und „Angst“. Nächste Vorstellungen am 14., 24., 30. und 31. Januar. Karten über www.ticketgalerie.de sowie telefonisch unter 0800 2181050 und an allen LVZ-Geschäftsstellen. Von Mark Daniel